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Forschungsstandort Ulm

Geballte muskuloskelettale Forschung und Traumawissenschaften in Ulm

Die muskuloskelettale Forschung in Ulm baut auf einer langen Historie auf und hat sich kontinuierlich zu einem Schwerpunkt des Standortes weiterentwickelt. Messbare Belege des Erfolgs sind die Etablierung des Sonderforschungsbereichs SFB 1149 „Gefahrenantwort nach Trauma“ sowie der Forschungsneubau „Multidimensionale Traumawissenschaften“ (MTW). Ab 2024 werden dort Grundlagen- und klinische Forscher ihre Kompetenzen bündeln, um in einem interdisziplinären und translationalen Ansatz neue Strategien zur Versorgung verletzter Patienten zu entwickeln.

Gemeinsame Strategie und der Schlüssel zum Erfolg sind die enge Kollaboration der unfallchirurgischen und orthopädischen Forschungseinrichtungen am Standort, die Verknüpfung von Grundlagen-, translationaler und klinischer Forschung, die Öffnung zu anderen Fachdisziplinen und Etablierung von Strukturen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.

In Ulm ergänzen sich das Institut für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik, die Unfallchirurgische Universitätsklinik mit ihrem Traumalabor, das Institut für Klinische und Experimentelle Traumaimmunologie und die Orthopädische Universitätsklinik mit ihrer Forschungssektion Biochemie der Gelenks- und Bindegewebserkrankungen in ihrer Forschungsausrichtung komplementär und arbeiten eng zusammen.

Strukturell gebündelt werden die Aktivitäten im Zentrum für Traumaforschung
Ulm (ZTF), das die muskuloskelettale Forschung weiter stärken und interdisziplinäre Forschungsansätze, zum Beispiel an der Schnittstelle zwischen physischer und psychischer Traumaforschung, weiterentwickeln soll.

1990 wurde die bundesweit erste selbstständige Professur für  Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik aus der Unfallchirurgischen Klinik heraus eingerichtet und das gleichnamige Institut gegründet. Prof. Dr. Lutz Claes, der erste Lehrstuhlinhaber, leitete das Institut bis zu seiner Emeritierung 2009. Seine Nachfolgerin ist Prof. Dr. Anita Ignatius. Die Arbeit des Instituts konzentriert sich auf klinisch relevante Fragestellungen in den Bereichen der Regeneration und Biomechanik muskuloskelettaler Gewebe. Zentrale Themen sind die biomechanische und biologische Regulation der Frakturheilung (Leitung: Prof. Dr. Anita Ignatius) und des Knochenstoffwechsels (Leitung: PD Dr. rer. nat. Melanie Haffner-Luntzer) mit dem Ziel, die Ursachen von Heilungsstörungen bei entzündlichen oder degenerativen Erkrankungen, nach Trauma oder im Alter zu entschlüsseln.

Die  Wirbelsäulenforschung des Instituts (Leitung: Prof. Dr. Hans-Joachim Wilke) beschäftigt sich mit biomechanischen Veränderungen bei Erkrankungen, Deformitäten und Verletzungen der Wirbelsäule und entwickelt in Zusammenarbeit mit den Kliniken neue Operationstechniken und Implantate. Im Fokus steht auch die Bandscheibendegeneration, deren regenerative Therapie aufgrund der avaskulären Gewebestruktur eine große Herausforderung darstellt.

Bei der Gelenkforschung (Leitung: Dr. biol. hum. Andreas Martin Seitz) steht das Kniegelenk mit Untersuchungen zu den Eigenschaften und Belastungen von Knorpel, Bändern und Menisken im Mittelpunkt. Gemeinsam mit den Kliniken werden Studien zu operativen Verfahren und der endoprothetischen Versorgung von Gelenken durchgeführt.

Die Arbeitsgruppe Biomaterialien (Leitung: Prof. Dr. Anita Ignatius) entwickelt zusammen mit universitären und industriellen Partnern innovative Materialien, um die Regeneration von Knochen, Knorpel und Menisken zu verbessern.

Traumata führen zu einer komplexen Gefahrenantwort des Körpers unter Einbeziehung aller Organsysteme. Dabei wird die posttraumatische Reaktion durch viele Parameter beeinflusst, zum Beispiel die Verletzungsschwere, Lebensalter und Geschlecht sowie vorbestehende Begleiterkrankungen. Eine fehlgeleitete Gefahrenantwort kann akute Komplikationen und langfristige Traumaschäden verursachen. Dabei weisen verschiedene Organe eine sehr unterschiedliche Vulnerabilität auf. Die zugrundeliegenden Mechanismen sind außerordentlich komplex und bisher noch weitgehend unverstanden. Das 1996 gegründete Traumalabor der Unfallchirurgischen Universitätsklinik (Leitung: Prof. Dr. Florian Gebhard) sowie das 2017 als selbstständige Einrichtung neu etablierte Institut für Klinische und Experimentelle Traumaimmunologie (Leitung: Prof. Dr. Markus Huber-Lang) widmen sich diesen komplexen Forschungsfragen in klinischen und experimentellen Studien.

Im Mittelpunkt des Interesses des unfallchirurgischen Traumalabors (Leitung bis 12/2020: Prof. Dr. Miriam Kalbitz) stehen vor allem Untersuchungen zur kurz- und langfristigen Auswirkung der posttraumatischen Entzündungsreaktion auf Herz und Lunge, aber auch die Mechanismen von Herz- und Lungenschäden bei Sepsis.

Das Institut für Klinische und Experimentelle Traumaimmunologie (Leitung: Prof. Dr. Markus Huber-Lang) erforscht vor allem Veränderungen des angeborenen Immunsystems bei Trauma und Sepsis. Zentrales Interesse des Instituts sind die Beteiligung des Complementsystems und Zellen der angeborenen Immunantwort in der Reaktion auf Trauma, bei Sepsis und anderen entzündlichen Erkrankungen sowie die gezielte Entwicklung von Complementtherapien. Weitere Arbeiten werden zu Funktionsstörungen der unterschiedlichen Blut-Organ-Barrieren nach Trauma und ihr Beitrag zur Entwicklung des Multiorganversagens geleistet. Hier werden derzeit innovative Therapieansätze verfolgt, um das Immunsystem nach Trauma und während der Sepsis zu stärken und Schrankenstörungen und Organversagen zu verhindern.

Ziel der klinischen Forschung der Orthopädischen Universitätsklinik (Leitung: Prof. Dr. Heiko Reichel) ist es, die Nachhaltigkeit orthopädischer Therapiemaßnahmen zu überprüfen und die Behandlungsmethoden stetig zu optimieren. Schwerpunkte sind dabei Mittel- und Langzeitstudien im Bereich gelenkerhaltender Verfahren und des Gelenkersatzes, der Wirbelsäulenchirurgie und der Kinderorthopädie. Zahlreiche experimentelle Projekte werden in enger Kooperation mit dem Institut für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik bearbeitet, in denen unterschiedliche Implantate und operative Verfahren biomechanisch geprüft werden.

Zum Forschungsbereich der Orthopädischen Universitätsklinik gehört die Sektion Biochemie der Gelenks- und Bindegewebserkrankungen (Leitung: Prof. Dr. Rolf Brenner). Die Sektion entstand 1998 als Stiftungsprofessur der Firma Merckle-Ratiopharm mit dem Ziel, die grundlagenorientierte orthopädische Forschung im zell- und molekularbiologischen Bereich auszubauen und wurde dann von der Medizinischen Fakultät verstetigt. Ein starker Fokus liegt hier auf der Erforschung molekularer Grundlagen und neuer Therapieansätze von Knorpelerkrankungen, dem therapeutischen Einsatz mesenchymaler Stammzellen sowie der Untersuchung funktionalisierter Implantatoberflächen.

Um die Forschungsaktiviäten am Standort zu koordinieren, wurde 2015 das Zentrum für Traumaforschung Ulm (ZTF) als ein universitäres Zentrum gegründet (Sprecher: Prof. Dr. Anita Ignatius, Prof. Dr. Jörg M. Fegert). Als virtuelle Dach- und Kommunikationsplattform koordiniert und fördert es Interaktionen zwischen seinen inzwischen 30 Mitgliedern, darunter auch das Bundeswehrkrankenhaus Ulm (BWK Ulm), organisiert Veranstaltungen, betreibt Öffentlichkeitsarbeit und unterstützt die Einwerbung von Drittmitteln.

Bei der Gründung des ZTF hat die Beteiligten vor allem die Erkenntnis geleitet, dass die äußerst komplexen Fragestellungen in der Trauma- und muskuloskelettalen Forschung nur gemeinsam mit anderen Fachdisziplinen bearbeitet werden können. Im ZTF wird daher besonders inter- und transdisziplinäre Forschung gefördert, unter anderem an der Schnittstelle zur psychischen Traumaforschung. Denn häufig haben körperliche Traumata auch psychische zur Folge, und seelische Belastungen können sich über das Immun- und neuroendokrine System auf die Traumaantwort und Regeneration auswirken.

Zu den größten Erfolgen der gemeinsamen Arbeit gehört der „SFB 1149 Gefahrenantwort, Störfaktoren und regeneratives Potenzial nach akutem Trauma“ (Sprecher: Prof. Dr. Florian Gebhard, Prof. Dr. Markus Huber-Lang, Prof. Dr. Anita Ignatius), der 2015 eingerichtet wurde. Der SFB mit 18 beteiligten Abteilungen und 21 Teilprojekten ging aus der Klinischen DFG Forschergruppe (KFO200) hervor. Er wurde inzwischen für weitere vier Jahre bis 2022 verlängert. Bisher hat der SFB circa 22 Millionen Euro von der DFG erhalten.

Der jüngste gemeinsame Forschungserfolg ist die Einwerbung des Forschungsneubaus Multidimensionale Traumawissenschaften (MTW; Leitung: Prof. Dr. Markus Huber-Lang, Prof. Dr. Anita Ignatius), für den der Standort in 2019 in einem kompetitiven Begutachtungsverfahren des Wissenschaftsrats den Zuschlag erhalten hat. Die Programmatik des Forschungshauses baut auf den Arbeiten im SFB auf, ist aber inhaltlich wie methodisch wesentlich erweitert. Das fast 5.000 Quadratmeter große Gebäude soll passgenau auf die  interdisziplinären Arbeitsgruppen aus Medizin und Naturwissenschaften zugeschnitten werden.

Ab 2024 beherbergt der Neubau circa 200 Wissenschaftler, hochspezialisierte Labore, moderne tierexperimentelle Forschung, eine Biobank sowie ein klinisches Studienzentrum. Das insgesamt circa 73 Millionen Euro teure Gebäude wird aus Bundesmitteln, vom Land Baden-Württemberg sowie von der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm finanziert.

Die Forschung lebt vom exzellent ausgebildeten und motivierten Nachwuchs. Am Standort Ulm konnten etliche Maßnahmen etabliert werden, um junge Kliniker und Naturwissenschaftler für die Forschung in O und U zu rekrutieren. Die Maßnahmen sind in die Programme der Medizinischen Fakultät und der Universität Ulm integriert. Spezifische „Trauma-Tracks“ wurden in den Studiengängen Medizin und Molekulare Medizin installiert. Medizinische und naturwissenschaftliche Doktoranden erhalten eine strukturierte Ausbildung innerhalb der Internationalen Graduiertenschule Ulm (IGradU). Der SFB und das kürzlich etablierte strukturierte Clinician Scientist Programm (CSP) der Medizinischen Fakultät unterstützen spezifisch den klinisch wissenschaftlichen Nachwuchs.

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