PresseDKOU
Stellungnahme der AGA

Zum Artikel „Leben ohne Schmerz“ im Spiegel-Magazin

© Der Spiegel, Ausgabe 47/2018 (Ausschnitt)

Zum Artikel „Leben ohne Schmerz – Rücken, Schulter, Knie – wie sich Operationen vermeiden lassen“ im Magazin Der Spiegel, Ausgabe 47/2018, nimmt die AGA – Gesellschaft für Arthroskopie und Gelenkchirurgie wie folgt Stellung: Auch aus unserer Sicht ist es wünschenswert, dass dem Gespräch mit dem Patienten deutlich mehr Zeit eingeräumt wird. Das Ziel sollte immer sein, durch die persönliche Kenntnis des Patienten und der sozialen Umstände einen individuellen Therapieplan festzulegen, der sorgfältig alle konservativen und operativen Therapieoptionen mit einbezieht und abwägt. Die Schlussfolgerung aber, eine Vielzahl von Operationen durch Gesprächstherapien ersetzen zu können, ist nicht richtig. Es gibt klare wissenschaftliche Kriterien für die Indikationsstellung zu Operationen.

Die AGA macht sich durch Aufklärung, Fort- und Weiterbildung und wissenschaftliche Arbeit dafür stark, dass Indikationen auf dem neuesten Stand des Wissens gestellt werden.

Die zitierte Studie von Andrew Carr hat gezeigt, dass eine isolierte subacromiale Dekompression (SAD) bei unspezifischen Impingement-Schmerzen in der Schulter der konservativen Therapie nicht signifikant überlegen ist. Die AGA teilt das Fazit der Studie, dass bei genau diesen Indikationen die operative SAD zu Recht in Frage zu stellen ist. Eine Verallgemeinerung auf Schulterschmerzen und Funktionseinschränkungen, die mannigfaltige Ursachen haben können, ist aber keineswegs zulässig.
 
Die AGA bestätigt auch die Moseley-Studie, die zu dem Ergebnis kommt, dass bei fortgeschrittener Arthrose eine Gelenktoilette des Kniegelenks keinen therapeutischen Nutzen für den Patienten hat.
 
Ein verzerrtes Bild gibt der Artikel jedoch bei der generellen Darstellung der Schulter- und Kniearthroskopie: Die Operationstechnik der Arthroskopie, auch Gelenkspiegelung genannt, wird bei einer Vielzahl von Indikationen bei den genannten Gelenken eingesetzt. Sie kann aber nicht mit den isolierten Eingriffen einer subacromialen Dekompression und Gelenklavage bei Kniearthrose gleichgesetzt werden. Diese stellen nur einen Bruchteil der arthroskopischen Operationen dar. Die minimal-invasive Gelenkchirurgie leistet eine Vielzahl rekonstruktiver Eingriffe, wird aber im Artikel nur auf „Gelenktoilette“ und „Knochenfräsen“ reduziert.
 
Denn die Arthroskopie ist eine Technik und keine Pathologiebehandlung. Während noch vor rund 20 Jahren Sehnennähte der Schulter oder Kreuzbandoperationen einen mehr als siebentägigen Krankenhausaufenthalt erforderten, können diese heute so minimal-invasiv durchgeführt werden, dass der Patient in der Regel nach dem Eingriff nach Hause gehen kann.
 
Die genannten Operationszahlen beim Impingement-Syndrom der Schulter suggerieren einen signifikanten Anstieg der SAD von 2008 bis 2015 um 30 Prozent. Auch hier ergibt eine genauere Analyse ein ganz anderes Bild: Die SAD ist häufig nicht der alleinige Eingriff, sondern erfolgt lediglich begleitend, zum Beispiel bei der Naht einer gerissenen Schultersehne bzw. bei Kalkentfernung. Während 2008 noch häufiger offen operiert wurden, erfolgen diese Operationen heute in der Regel arthroskopisch.
 
Die uns vorliegenden Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen eine Abnahme der stationären SAD gesamt (offen/arthroskopisch) von 2010 bis 2017: 104.894 (19.998/84.896) zu 102.062 (12.086/89.976) – fast drei Prozent weniger. Da in diesem Zusammenhang OPS-Codes betrachtet werden, kann keine Aussage darüber getroffen werden, wie viele subacromiale Dekompressionen als Einzel- oder Begleiteingriff vorgenommen wurden. Somit ist der beschriebene Anstieg dieses isolierten Eingriffes nicht mit der Realität gleichzusetzen.
 
Es ist richtig, dass jede Operation ein gewisses Risiko für den Patienten darstellt. Die Infektionsraten zum Beispiel bei arthroskopischen Eingriffen des Kniegelenkes ohne Bandrekonstruktion liegen allerdings unter 0,1 Prozent (Balato et al. Joints 2017). Die Infektionsrate bei Schulterarthroskopien mit Sehnenrekonstruktion unter perioperativer Antibiotikaprophylaxe liegen bei unter 0,3 Prozent (Pauzenberger et al. KSSTA 2016). Diese Einordnung würde ein ganz anderes Bild zeichnen. Hingegen ist auch eine konservative Therapie mit Risiken für den Patienten verbunden, zum Beispiel bei Infiltrationen (Spritzenbehandlung). Dieses Risikoprofil wird im Artikel jedoch komplett außen vor gelassen. Vielmehr wird das Risiko betont, in Folge eines arthroskopischen Eingriffs schwerwiegende Komplikationen zu erleiden, bis hin zum Tod. Diese Darstellung ist aus unserer Sicht irreführend.
 
Um den Erfolg von Operationen objektiv messbar zu machen und die Bewertung eben nicht allein dem Operateur zu überlassen, hat die AGA gemeinsam mit dem dem Berufsverband für Arthroskopie (BVASK) und der Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin (GOTS) in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) im Oktober 2017 in Eigeninitiative das Deutschsprachige Arthroskopieregister (DART) ins Leben gerufen. Hier werden Patientendaten zu arthroskopischen Eingriffen in Deutschland, Österreich und der Schweiz zentral erfasst und wissenschaftlich ausgewertet. Ärzten, Praxen und Kliniken steht das Register zur langfristigen Sicherstellung ihrer Qualität zur Verfügung.  
 
Die zitierte gemeinsame Stellungnahme von sieben Gesellschaften und Verbänden der Orthopädie und Gelenkchirurgie wurde vom Autor falsch verstanden: Die Unterzeichner unterstützen, wie weiter oben dargestellt, das Studienergebnis der im Journal Lancet veröffentlichten pragmatischen, randomisierten multizentrischen CSAW-Studie bei korrekter Betrachtung, kritisieren allerdings auch methodische Schwächen der Studie. Die Unterzeichner wehren sich aber gegen die Interpretation der Studienergebnisse durch die Laienpresse, die das gesamte Feld der (Schulter)-Arthroskopie unter Generalverdacht - und seit Jahren erfolgreiche Behandlungsstandards in Frage - stellt. Die wissenschaftlich nicht differenzierte Interpretation „Schulterarthroskopie bringt nichts“ führt zu einer klaren Fehlinformation der Bevölkerung.
 
Abschließend postuliert der Artikel die Forderung, Menschen ab 35 Jahren nicht mehr zu arthroskopieren, da „sie so gut wie nichts davon hätten“. Dies würde im Umkehrschluss bedeuten, dass bei ausgeschöpfter konservativer Therapie und beginnendem Gelenkverschleiß die nächste Operation immer der Gelenkersatz ist. Es würde aber auch bedeuten, dass arthroskopische rekonstruktive Eingriffe nach Unfällen, wie zum Beispiel Bandnähte oder Bandersatz zur Stabilisierung eines Gelenkes, oder die arthroskopisch kontrollierte Wiederherstellung einer glatten Gelenkfläche zum Beispiel nach einem Schienbeinkopfbruch für den Patienten keinen Nutzen hätten. Soll dies die Zukunft der Gelenkmedizin sein?
 
Die AGA hat als oberstes Ziel den Gelenkerhalt. Eine Endoprothese sollte erst dann das Mittel der Wahl sein, wenn es nicht mehr sinnvoll möglich ist, die schmerzfreie Funktion eines Gelenkes wiederherzustellen. Die Arthroskopie hilft als operationstechnisches Verfahren, eine Vielzahl an Verletzungen oder Gelenkerkrankungen minimal-invasiv und schonend mit wissenschaftlich gesicherten positiven Ergebnissen zu behandeln! Wie in allen Bereichen bedarf es einer differenzierten Betrachtung, die im vorliegenden Artikel aus unserer Sicht nicht gegeben ist. Verallgemeinerung und das Verteufeln von Operationen im Grundsätzlichen helfen nicht, die medizinische Versorgungslage unserer Patienten besser und sicherer zu machen.

Prof. Dr. Helmut Lill, AGA-Präsident
Dr. Philipp Heuberer, AGA-Vizepräsident
PD Dr. Sepp Braun, AGA-Pressesprecher

Quelle: AGA-Website

  • Mitglied werden Mitglied werden
  • Kontakt Kontakt