Forschungsstandort Dresden
Über traditionelle Fachgrenzen hinweg
Am Dresdner Universitätsklinikum haben sich die Klinik für Orthopädie und die Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie im Jahr 2010 mit der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie zusammengetan, um gemeinsam das Zentrum für Translationale Knochen-, Gelenk- und Weichgewebeforschung zu gründen. 2017 kam die Abteilung für Plastische und Handchirurgie hinzu.
Das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus (UKD) und die Medizinische Fakultät der Technischen Universität Dresden wurden erst im Jahr 1993 formal begründet. Ihre Wurzeln reichen aber weit auf das bereits 1748 gegründete Collegium medico chirurgicum und die daraus 1815 hervorgegangene Königlich Sächsische Chirurgisch-Medizinische Akademie mit seinem Mitglied und späteren Namensgeber Carl Gustav Carus zurück.
Orthopädie und Unfallchirurgie waren zum Gründungszeitpunkt als eigenständige Kliniken organisiert. Der Zusammenschluss zum gemeinsamen Universitätscentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie (OUC) erfolgte im Sommer 2013 als gemeinschaftlich getragenes Projekt der damaligen Direktoren beider Kliniken, Professor Dr. Klaus-Peter Günther (Orthopädie) und Professor Dr. Hans Zwipp (Unfall- und Wiederherstellungschirurgie). Als Nachfolger von Prof. Zwipp wurde 2015 Prof. Dr. Klaus-Dieter Schaser auf den Lehrstuhl für Unfallchirurgie berufen; er fungiert als Ärztlicher Direktor des OUC und leitet dieses gemeinsam mit Prof. Günther, der weiterhin den Lehrstuhl für Orthopädie innehat und als Geschäftsführender Direktor des Zentrums fungiert. Im Jahr 2020 wurde das OUC mit der Aufnahme von Prof. Dr. Adrian Dragu als Plastischem und Handchirurgen und drittem Direktor nochmals erweitert und heißt seitdem Universitätscentrum für Orthopädie, Unfall- und Plastische Chirurgie (OUPC). Mit seinen zertifizierten Zentren (überregionales Trauma- und Endoprothetikzentrum der Maximalversorgung, Level-I-Wirbelsäulenzentrum, Zentrum für Fuß- und Sprungelenkchirurgie), der Abteilung für Plastische und Handchirurgie, sowie zusätzlich mehreren Sektionen und Bereichen (Obere Extremität, Hüfte, Knie, Tumororthopädie, Septische Chirurgie, Kinderorthopädie, Alterstraumatologie und -orthopädie, Sportmedizin) deckt es das komplette Spektrum der Maximalversorgung mit einem sehr großen Einzugsbereich ab.
Bereits deutlich vor dem Zusammengehen der beiden ehemaligen Kliniken war der Wunsch entstanden, die experimentellen Forschungsabteilungen von Orthopädie und Unfallchirurgie durch Fusionierung zu stärken und so ihre Leistungsfähigkeit und Sichtbarkeit zu vergrößern. Als dritter Partner konnte die Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG) des UKD unter ihrem damaligem Direktor Prof. Dr. Dr. Uwe Eckelt gewonnen werden – eine in dieser Konstellation wohl einmalige Initiative in Deutschland. Gemeinsam wurde Ende 2010 das Zentrum für Translationale Knochen-, Gelenk- und Weichgewebeforschung aus der Taufe gehoben, zu dessen Leiter Prof. Dr. Michael Gelinsky auf eine zu diesem Zweck neu geschaffene und von den drei Kliniken getragene W2-Professur berufen wurde. Prof. Gelinsky, ein Biomaterial- und Tissue Engineering-Experte, hatte schon vorher mit den Trägerkliniken auf dem Gebiet der Knochenregeneration zusammengearbeitet, unter anderem im Rahmen einer von der DFG finanzierten Forschergruppe (FOR 308).
Das Translationszentrum hat sich seit seiner Gründung zu einer auch international wahrgenommenen Forschungseinrichtung entwickelt. Ausgehend von der Kernkompetenz der vier Gruppen, die im gemeinsamen Zentrum aufgegangen sind – der Regeneration von Knochendefekten kritischer Größe – hat sich das thematische Spektrum stark erweitert und umfasst heute auch Gelenkknorpel, osteochondrale Defekte, Sehnen und Bänder sowie Fragen der komplexen Regeneration an Gewebegrenzflächen. Neben der Biomaterialentwicklung und diversen Tissue Engineering-Strategien stehen auch die Untersuchung neuartiger bioaktiver Wirkstoffe sowie Anwendungen des 3D-Drucks inklusive des Bioprintings im Fokus. Für die Validierung der neuen therapeutischen Strategien stehen eine Reihe von etablierten Knochendefektmodellen zu Verfügung, angefangen bei Mäusen und Ratten bis hin zu Schaf und Schwein. Regelmäßig werden für die Forschung über 1 Mio. Euro an Drittmitteln pro Jahr eingeworbenen, wobei DFG und BMBF, aber auch die AiF und öffentliche sächsische Fördermittelgeber sowie Stiftungen die wichtigsten Geldgeber sind. Wichtig sind auch mehrere starke Kooperationspartner aus dem ingenieurwissenschaftlichen Bereich der TUD sowie die Zusammenarbeit mit renommierten Gruppen im In- und Ausland, die sich in unzähligen Publikationen widerspiegeln. Zeitweise war das Translationszentrum gleichzeitig an zwei großen Transregio-Sonderforschungsbereichen der DFG beteiligt (SFB/TR 67 mit Leipzig und SFB/TR 79 mit Gießen und Heidelberg), die sich beide mit Fragen der Knochenregeneration beschäftigt haben.
Zehn Jahre nach seiner Gründung konnte das Zentrum Ende 2020 in deutlich größere Forschungsflächen umziehen, die speziell für die Bedürfnisse der etwa 25 Forscher und Forscherinnen umgebaut und saniert worden waren. Regelmäßig arbeiten auch Ärztinnen und Ärzte aus dem OUPC im Translationszentrum, teils zur Unterstützung komplexer tierexperimenteller Studien, teils um eigene Fragestellungen zu bearbeiten. Auch Habilitationsarbeiten junger Kliniker wurden bereits erfolgreich am Translationszentrum durchgeführt. Regelmäßig finden gemeinsame Doktorandenseminare statt, auf denen aktuell laufende medizinische, natur- und ingenieurwissenschaftliche Promotionsvorhaben vorgestellt und diskutiert werden, die entweder am OUPC, der MKG oder im Translationszentrum angebunden sind. In den jährlichen Forschungsberichten werden die Leistungen von OUPC, MKG und dem gemeinsamen Translationszentrum zusammen als „Forschungsbereich Muskuloskelettale Medizin“ dargestellt und dieser gehört aufgrund der erfolgreichen Bündelung inzwischen zu einem der forschungsstärksten Bereiche der Hochschulmedizin Dresden.
Parallel zur experimentellen Forschung wurden in den vergangenen beiden Jahrzehnten die Aktivitäten der klinischen Translations- und Versorgungsforschung ausgebaut. Der Schwerpunkt der dafür geschaffenen „Abteilung Klinische Forschung“ am OUPC liegt einerseits beim patientenbezogenen Outcome in der Hüft- und Knie-Endoprothetik, andererseits werden klinische Studien aus sämtlichen Sektionen zu verschiedenen Fragestellungen unterstützt. Dabei wird ein sehr weites Spektrum des klinischen Alltags in O und U sowie der Plastischen und Handchirurgie abgebildet. Derzeit laufen mehr als 25 klinische Studien (AMG/MPG) zu Themen wie Implantatdesign und -beschichtung, Optimierung von Operationsabläufen und Nachbehandlung, Wertigkeit von diagnostischen Tests sowie Verbesserung der Patientenkommunikation und Indikationsstellung. Die mittlerweile aufgebaute und professionelle Infrastruktur erlaubt insbesondere die effiziente Abwicklung mehrerer randomisierter Therapiestudien (u.a. mit Applikation von Stammzellen bei Gelenkerkrankungen und traumatologischen Fragestellungen). Für hochrangige klinische Studien wurde das Team 2017 und 2021 mit dem Preis für evidenzbasierte Medizin der DGOU ausgezeichnet. Neben dem seit vielen Jahren etablierten eigenen Dresdner Hüft- und Knieregister beteiligt sich das OUPC aktiv an nationalen Registern, u.a. EPRD, DART, Trauma- und Beckenregister der DGU sowie dem HandTraumaRegister (HTR) der DGH. Das Team unter Leitung von Prof. Dr. Jörg Lützner umfasst 2 Study Nurses, eine Dokumentarin und zwei wissenschaftliche Mitarbeiterinnen. Forschungsvorhaben von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Promotionen werden intensiv unterstützt; dazu findet einmal im Monat ein Forschungstreffen statt. In den letzten Jahren hat sich eine sehr intensive Zusammenarbeit mit dem hiesigen Zentrum für evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV) ergeben. Der Fokus dieser Kollaboration liegt auf der Erarbeitung klinischer Leitlinien. Zwei hochwertige AWMF-Leitlinien zum Indikationsprozess von Knie- und Hüftendoprothesen sowie eine europäische Konsensempfehlung zur Implantatsicherheit (EFORT Implant and Patient Safety Initiative) sind mittlerweile publiziert. Gleichzeitig erfolgte auf dem Gebiet der Plastischen Chirurgie ein elementarer Beitrag an der publizierten AWMF S3-Leitline „Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen“.
So wie an allen Universitätsklinika in Deutschland steht auch bei uns die Forschung in Konkurrenz zu den umfangreichen klinischen Aufgaben – wobei am Standort Dresden aufgrund begrenzter Landeszuführung die Spielräume für Freistellungen zusätzlich verengt sind. Durch kluges Personalmanagement und das bewusste Fördern junger Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die sich aktiv wissenschaftlich einbringen wollen, ist es aber trotzdem gelungen, in Dresden eine Forschungsbasis im Bereich O und U und P aufzubauen, die auch international wahrgenommen wird. Hierbei können auch interne Fördermöglichkeiten wie das MeDDrive-Programm der Medizinischen Fakultät oder das vor wenigen Jahren etablierte Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Digitale Gesundheit genutzt werden, die beide interessante Optionen für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler bieten. Ziel muss es sein, Krankenversorgung und Forschung noch besser zu verbinden, beide aus ihrer Konkurrenzsituation herauszuholen und zu einem sich gegenseitig befruchtenden Miteinander zu verbinden. Das bislang Erreichte ermutigt uns, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen.